Impfschutz lebenslang. Oder doch nicht?
Impfungen bzw. die Dauer des Impfschutzes werden heiß und emotional diskutiert. Und immer wieder liest man etwas von „WSAVA“ und „VGG“.
Was bzw. wer ist das überhaupt?
- „WSAVA“ ist die World Small Animal Veterinary Association.
- „VGG“ ist die Vaccination Guideline Group der WSAVA.
Also die Expertenrunde, welche diese Richtlinien erarbeitet haben. Von dieser Vereinigung gibt es eine Impfrichtlinie (von 2015), welche immer wieder als Argument herhalten muss, dass der Impfschutz bei einem Hund und einer Katze ja lebenslang besteht.
Kurze Zusammenfassung der Argumente der „Einmal-impfen-reicht-Verfechter“:
Die WSAVA sagt, einmal impfen reicht und jede weitere Impfung ist auf dem Mist der Tierärzte und der Pharmaindustrie gewachsen und absolut unnötig. Dann noch was mit Impfmafia, Abzocker und bösartigen Pharmakonzernen.
Auf, auf zum Faktencheck.
Wir haben uns das mal näher angeschaut (auch nachzulesen im Original hier) und zum besseren Verständnis relevante Abschnitte ins Deutsche übersetzt. Sollten Sie noch vernachlässigte, mindestens so wichtige Ausschnitte finden, her damit. Wir schauen uns auch die gerne an.
Lassen Sie uns gemeinsam das Thema mal durchgehen:
„However, the VGG strongly recommends that wherever possible ALL dogs and cats receive the benefit of vaccination.“
heißt übersetzt:
Allerdings empfiehlt die VGG dringend, dass, wo immer möglich, alle Hunde und Katzen den Vorteil der Impfung erhalten.
„…the VGG has defined core vaccines as those which ALL dogs and cats, regardless of circumstances or geographical location, should receive…. Core vaccines for dogs are those that protect against canine distemper virus (CDV), canine adenovirus (CAV) and the variants of canine parvovirus type 2 (CPV-2). Core vaccines for cats are those that protect against feline parvovirus (FPV), feline calicivirus (FCV) and feline herpesvirus-1 (FHV-1)“
Die VGG hat als Core-Impfstoffe diejenigen definiert, die ALLE Hunde und Katzen, unabhängig von Umständen oder geographischen Lage, erhalten sollten …. Core-Impfstoffe für Hunde sind diejenigen, die gegen canines Staupe-Virus (CDV), canines Adenovirus (CAV) und die Variante 2 des caninen Parvovirus (CPV-2) schützen. Core-Impfstoffe für Katzen sind diejenigen, die gegen felines Parvovirus (FPV), felines Calicivirus (FCV) und felines Herpesvirus-1 (FHV-1) schützen.
„The VGG recognizes that maternally derived antibody (MDA) significantly interferes with the efficacy of most current core vaccines administered to pups and kittens in early life. As the level of MDA varies significantly among litters, the VGG recommends the administration of multiple core vaccine doses to pups and kittens, with the final dose of these being delivered at 16 weeks or older or above and then followed by a booster at 6- or 12-months of age.“
heißt übersetzt:
Der VGG ist bekannt, dass mütterliche Antikörper (MDA) die Wirksamkeit der meisten aktuellen Core-Impfstoffe, die den Welpen und Kätzchen im frühen Leben verabreicht werden, erheblich beeinträchtigt. Da das Niveau von MDA signifikant in verschiedenen Welpenwürfen variiert, empfiehlt die VGG die Verabreichung von mehreren Core-Impfstoffdosen an Welpen und Kätzchen, wobei die letzte Dosis im Alter von 16 Wochen oder älter gegeben werden sollte, gefolgt von einer Boosterung im Alter von 6 oder 12 Monaten.
„Vaccines should not be given needlessly. Core vaccines should not be given any more frequently than every three years after the 6- or 12-month booster injection following the puppy/kitten series, because the duration of immunity (DOI) is many years and may be up to the lifetime of the pet.“
Impfstoffe sollten nicht unnötig gegeben werden. Core-Impfstoffe sollten nicht häufiger als alle drei Jahre nach der Boosterung im Alter von 6 oder 12 Monaten nach der Grundimmunisierung verabreicht werden, da die Dauer der Immunität (DOI) viele Jahre anhält und auch lebenslang sein kann.
„It is simply not possible to induce ‘better’ immunity in an individual animal by giving repeated vaccinations, i.e. a dog receiving a core MLV vaccine every 3 years will be equally well protected compared with one receiving the same vaccine annually, …“
Es ist einfach nicht möglich, eine „bessere“ Immunität in einem Tier durch wiederholte Impfungen zu erreichen, d.h. ein Hund, der einen Lebend-Core-Impfstoff alle 3 Jahre erhält, wird gleich gut geschützt sein verglichen mit einem [Hund], der denselben Impfstoff jährlich erhält …
„Revaccination of Adult Dogs: Dogs that have responded to vaccination with MLV core vaccines maintain a solid immunity (immunological memory) for many years in the absence of any repeat vaccination (Bohm et al. 2004, Mouzin et al. 2004, Schultz 2006, Mitchell et al. 2012) [EB1]. Following the 26 or 52 week booster, subsequent revaccinations are given at intervals of 3 years or longer. It should be emphasized that triennial adult revaccination does not generally apply to killed core vaccines (except for rabies) nor to the non-core vaccines, and particularly not to vaccines containing bacterial antigens.“
Wiederholungsimpfung von erwachsenen Hunden: Hunde, die auf die Impfung mit Lebend-Core-Impfstoffen reagiert haben [= Antikörper gebildet haben], erhalten eine belastbare Immunität (immunologisches Gedächtnis) für viele Jahre ohne, dass es einer Wiederholungsimpfung bedarf (Bohm et al., 2004, Mouzin et al., 2004, Schultz 2006, Mitchell et al., 2012) [EB1]. Nach dem 26- oder 52-Wochen-Booster werden nachfolgende Wiederholungsimpfungen in Abständen von 3 Jahren oder länger durchgeführt. Es sollte betont werden, dass die dreijährige Wiederholungsimpfung im Allgemeinen weder für Tot-Core-Impfstoffe (mit Ausnahme von Tollwut) gilt, noch für die Non-Core-Impfstoffe (Borelliose, Leishmaniose, Zwingerhusten, Herpes) und insbesondere nicht für Impfstoffe, die bakterielle Antigene enthalten (Leptospirose).
„A seropositive puppy would not require a 26 or 52 week booster and could next receive core vaccine 3 years later.“
Ein seropositiver Welpe [= Welpe, welcher bei der Grundimmunisierung genügend Antikörper gebildet hat] würde keinen 26- oder 52-Wochen-Booster benötigen und könnte als nächstes den Core-Impfstoff 3 Jahre später erhalten.
„Antibody tests can be used to demonstrate the DOI after vaccination with core vaccines. It is known that a large majority of dogs maintain protective antibody against CDV, CPV-2, CAV-1 and CAV-2 for many years and numerous experimental studies support this observation (Bohm et al. 2004, Mouzin et al. 2004, Schultz 2006, Mitchell et al. 2012) [EB1]. Therefore, when antibody is absent (irrespective of the serological test used) the dog should be revaccinated unless there is a medical reason for not so doing, even though some will be protected by immunological memory.“
Antikörper-Tests können verwendet werden, um die DOI [Dauer der Immunität] nach der Impfung mit Core-Impfstoffen zu ermitteln. Es ist bekannt, dass eine große Mehrheit der Hunde viele Jahre Schutz-Antikörper gegen CDV, CPV-2, CAV-1 und CAV-2 aufrechterhält und zahlreiche experimentelle Studien diese Beobachtung unterstützen (Bohm et al., 2004, Mouzin et al., 2004, Schultz 2006, Mitchell et al. 2012) [EB1]. Wenn also Antikörper fehlen (ungeachtet des verwendeten serologischen Tests), sollte der Hund wieder geimpft werden, es sei denn, es gibt einen medizinischen Grund, der dagegen spricht, auch wenn einige [Hunde] durch das immunologische Gedächtnis geschützt sein werden.
Welche Erkenntnisse kann
man jetzt daraus ziehen?
Ja, es gibt verschiedene Studien, die darlegen, dass der Impfschutz gegen Staupe, Hepatitis und Parvovirose mehrere Jahre, evtl auch lebenslang, bestehen KANN.
Ja, gegen Staupe, Hepatitis und Parvovirose sollte maximal alle drei Jahre geimpft werden, da eine häufigere Impfung keinen besseren Schutz verspricht.
Nein, es gibt keine Empfehlung, Hunde und Katzen nur einmal in ihrem Leben zu impfen.
Jetzt muss man vielleicht wissen:
Das Hauptziel dieser Impfrichtlinie ist es, dass ALLE Hunde und Katzen gegen Staupe, Hepatitis und Parvovirose bzw. Katzenschnupfen und Katzenseuche geimpft sind, um eine möglichst populationsdeckende „Herdenimmunität“ zu erreichen. Deshalb gibt es auch die Empfehlung, dass, wenn es technisch (Streuner) oder finanziell nicht anders machbar ist, jedes Tier im Alter von über 16 Wochen WENIGSTENS einmal geimpft wird.
Das ist ok für Streuner, Tierschutzorganisationen, etc, frei nach dem Motto „besser als Nix“. Aber es sollte nicht die Norm sein, sonst können wir uns nämlich auch in Deutschland demnächst wieder mit Staupe, Parvovirose und Tollwut beschäftigen. Übrigens wurde im Mai 2017 in der Nähe von Cham (Bayern) bei Füchsen Staupe festgestellt. Und das ist auch ein Problem für unsere Hunde. Gut, wer einen geimpften Hund hat…
Und was jetzt?
Was wissen wir sicher?
- Der Impfschutz gegen Staupe, Hepatitis und Parvovirose hält mindestens 3 Jahre. Und wohl auch deutlich länger.
- Eine Impfung bringt nichts, solange noch genügend Antikörper vorhanden sind. Viel impfen hilft also auch nicht viel.
Was wissen wir sicher nicht?
Wir wissen nicht, wie lange „deutlich länger als drei Jahre“ bei jedem individuellen Hund oder jeder Katze ist.
4 Jahre, 6 Jahre, 10 Jahre, lebenslang? Es ist keine generelle Aussage möglich!
Welche Konsequenzen kann
man jetzt aus den Fakten ziehen?
Jeder Tierbesitzer hat im Prinzip drei Optionen:
Für Routine-Fans
Alle drei Jahre (nach erfolgreicher Grundimmunisierung – was das heißt, kann man hier nachlesen – gegen Staupe, Hepatitis und Parvovirose bzw. Katzenschnupfen und Katzenseuche impfen.
Dadurch eventuell in Kauf nehmen, dass die ein oder andere Impfung wahrscheinlich unnötig war, der Hund/die Katze aber trotzdem gegen diese Krankheiten geschützt ist.
Für Vorsichtige
Nach der Grundimmunisierung und dem 26- oder 52-Wochen-Booster Antikörper über das Blut bestimmen lassen.
Sollten Antikörper nachgewiesen werden, kann davon ausgegangen werden, dass diese ab diesem Zeitpunkt 3 Jahre schützen. Möchte man nach den 3 Jahren nicht impfen, sollte jedes Jahr (!!) der Impftiter bestimmt werden. Sobald kein ausreichender Schutz mehr vorhanden ist, wird nachgeimpft.
Für Mutige
Hund und Katze gar nicht impfen.
In Kauf nehmen, dass das Tier an einer Krankheit erkranken und sterben könnte, vor der man das Tier hätte schützen können. Dann aber nicht rumheulen. Und viel Beten.
Entscheiden Sie selbst.
Wir finden Option 1 und 2 durchaus beide vertretbar und sinnvoll, Option 3 gehört definitiv nicht dazu. Und das sagen wir nicht, weil wir von der Pharmaindustrie gekauft/bezahlt/geschmiert werden oder uns an Ihnen bereichern wollen, sondern weil wir wissen, wie furchtbar es ist, wenn Tiere an diesen Krankheiten qualvoll verenden und wir nichts dagegen tun können.
Bleiben wir fair.
Sollten Sie zu den impfkritischen Menschen gehören, seien Sie so fair und informieren Sie sich eingehend. Und vielleicht nicht nur bei diversen Impfgegner- und Verschwörungstheorie-Seiten im Internet. Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Tierarzt.
Verstehen Sie, wie eine Impfung funktioniert und was im Körper passiert. Klar gibt es Nebenwirkungen bei Impfungen, wie bei jedem Medikament. Aber die „Nebenwirkungen“ bei Erkrankung an diesen Krankheiten, gegen die wir zu impfen versuchen, sind wesentlich verheerender und garantiert tödlich. Ob es das wert ist…?
Noch Fragen?
Dann schreiben Sie uns oder rufen Sie uns an.
Herzlichst, Ihr
DR.TIER
Dr. med. vet. Stefan Kuscha
Egmating. München.